TikTok setzt süchtig machendes Belohnungs-System aus
Nachdem die EU-Kommission erneut ein Verfahren gegen TikTok eröffnet hat, setzt die Online-Plattform kritisierte Funktionen der App-Version TikTok Lite vorerst aus. "TikTok ist stets bestrebt, konstruktiv mit der EU-Kommission und anderen Regulierungsbehörden zusammenzuarbeiten", verkündete der chinesische Konzern am Mittwoch auf X (vormals Twitter). "Daher setzen wir die Belohnungsfunktionen in TikTok Lite freiwillig aus, während wir die von ihnen geäußerten Bedenken ausräumen."
Die "Lite"-Version der App war im April in Frankreich und Spanien in Europa eingeführt worden. Die Brüsseler Behörde hatte am Montag verkündet, dass sie prüfen will, ob das Unternehmen damit die psychische Gesundheit von Minderjährigen gefährde und gegen EU-Regeln verstoße. Besonders beunruhigt sei man über das Aufgaben- und Belohnungsprogramm. Dieses ermögliche es den Nutzern, Punkte zu sammeln, wenn sie bestimmte Aufgaben erfüllen - wie das Ansehen von Videos oder die positive Bewertung ("Liken") von Inhalten. Dies könne süchtig machen und sei besonders besorgniserregend für Kinder, da nicht erkennbar sei, dass das Alter der Nutzer wirksam überprüft werde.
Kinder sind keine Versuchskaninchen
EU und USA zu TikTok
Bild: TikTok
Die Kommission hatte TikTok 48 Stunden Zeit gegeben, um
nachzuweisen, dass es die EU-Regeln eingehalten hat und kein
ernsthafter Schaden entstanden ist. Danach hätte die Behörde die
Plattform anweisen können, die neuen Funktionen vorerst auszusetzen.
Dem ist TikTok nun zuvorgekommen.
"Ich nehme die Entscheidung von TikTok zur Kenntnis, das TikTok Lite "Belohnungsprogramm" in der EU auszusetzen", schrieb der zuständige EU-Kommissar Thierry Breton auf X. Die Verfahren wegen der möglichen Suchtgefahr der Plattform würden aber weitergehen. "Unsere Kinder sind keine Versuchskaninchen für soziale Medien."
Biden setzt Gesetz zum Besitzerwechsel bei TikTok in Kraft
Ein US-Gesetz, das einen Eigentümerwechsel bei der Kurzvideo-App TikTok erzwingen soll, ist in Kraft getreten. Präsident Joe Biden unterzeichnete es am Mittwoch. Damit droht TikTok die Verbannung aus amerikanischen App-Stores, falls die App in einem Jahr noch im Besitz des in China ansässigen Bytedance-Konzerns sein sollte. TikTok will das Gesetz vor Gericht anfechten.
Das Gesetz wurde erst in der Nacht zum Mittwoch vom Senat mit einer großen Mehrheit von 79 zu 18 Stimmen angenommen. Bytedance wird in den USA parteiübergreifend als chinesisches Unternehmen gesehen, das sich entsprechend dem Willen der Kommunistischen Partei Chinas beugen müsse. Deshalb wird gewarnt, chinesische Behörden könnten sich in großem Stil Zugriff auf Daten amerikanischer Nutzer verschaffen - und die Plattform auch für politische Einflussnahme nutzen. TikTok bestreitet dies seit Jahren.
Kann das Gesetz vor US-Gerichten bestehen?
Unklar ist, ob das Gesetz vor US-Gerichten bestehen kann. Schon eine frühere Verbotsdrohung scheiterte dort und ein ähnliches Gesetz im Bundesstaat Montana wurde zuletzt wegen möglicher Verstöße gegen die in der US-Verfassung verankerte Meinungsfreiheit auf Eis gelegt.
TikTok hat nach eigenen Angaben 170 Millionen Nutzer in den USA. Firmenchef Shou Chew nannte das Gesetz in einem Video verfassungswidrig und kündigte an, TikTok werde vor Gericht ziehen.
TikTok betont, man sehe sich nicht als Tochter eines chinesischen Unternehmens. Bytedance sei zu 60 Prozent im Besitz westlicher Investoren. Der Firmensitz liege auf den Cayman-Inseln in der Karibik. Allerdings kontern US-Politiker, dass die chinesischen Gründer dank höherer Stimmrechte bei einem Anteil von 20 Prozent die Kontrolle hielten und das Hauptquartier von Bytedance in Peking sei, wo man sich dem Einfluss der Behörden nicht entziehen könne.
Biden in der Zwickmühle
Chinas Außenministerium verwies am Mittwoch auf frühere Äußerungen. Peking hatte den USA etwa vorgeworfen, unter dem Vorwand der nationalen Sicherheit wettbewerbsfähige Firmen anderer Länder behindern zu wollen. Chinas Regierung habe nie Unternehmen aufgefordert, rechtswidrig für sie Daten zu sammeln oder bereitzustellen und werde dies auch nicht tun, sagte Sprecher Wang Wenbin Mitte März.
Bidens Demokraten bringt das Gesetz in eine Zwickmühle: Denn zum einen will der Präsident eine harte Position gegenüber China einnehmen, zum anderen ist die App bei jungen Nutzern beliebt, deren Stimmen er für eine Wiederwahl im November braucht. Bidens Wahlkampf-Team eröffnete erst in diesem Jahr selbst einen TikTok-Account.
Schon Donald Trump versuchte während seiner Amtszeit als US-Präsident, per Erlass einen Verkauf des US-Geschäfts von TikTok an amerikanische Investoren durchzusetzen. Doch das Vorhaben scheiterte vor allem daran, dass US-Gerichte in den Plänen einen Verstoß gegen die Meinungsfreiheit sowie eine Machtüberschreitung des Präsidenten sahen. Als Gesetz steht der aktuelle Vorstoß auf einer solideren rechtlichen Grundlage. Der Republikaner Trump, der im November erneut gewählt werden will, ist inzwischen von den Verbotsforderungen abgerückt.
Aus einer neuen Datenbank der EU geht hervor, welche Inhalte Facebook, Instagram oder TikTok löschen und einschränken. Doch eine Plattform fällt durch eine besonders niedrige Zahl auf.