teltarif hilft: DSL (fast) ohne Vorwarnung abgeschaltet
NetAachen und die Tücken der Breitband-Regulierung
Bild: NetAachen
Es ist wohl der Albtraum eines jeden Internet-Nutzers: Im Briefkasten liegt die Kündigung des Anschlusses durch den DSL-Anbieter - und bereits am darauffolgenden Tag ist der Anschluss abgeschaltet. Telefon und Internet gehen nicht mehr. Genau das ist einer Familie im Kreis Düren in Nordrhein-Westfalen im Januar passiert.
Der Fall zeigt nicht nur die Hilflosigkeit des Kunden in einem derartigen Fall - Recherchen von teltarif.de ergaben, dass für die unglücklichen Umstände auch die manchmal undurchsichtigen Regulierungen im Breitband-Dschungel verantwortlich sind, von denen vielleicht nicht einmal die Netzbetreiber und Provider wissen.
Kündigung ganz ohne Angabe von Gründen
NetAachen und die Tücken der Breitband-Regulierung
Bild: NetAachen
Die Eltern der Familie sind beide schwerbehindert. Der Vater ist blind, die Mutter gehörlos. Beide sind auf das Telefon und das Internet zur Kommunikation angewiesen. Darüber hinaus wohnen im Haushalt zwei schulpflichtige Kinder. Die ältere Tochter ist aktuell in der Abitur-Vorbereitung. Alle Rechnungen sind immer ordnungsgemäß bezahlt worden.
Kunde war die Familie bei NetAachen, einem regionalen Telekommunikationsdienstleister, Kabelnetzbetreiber und Internet-Provider in der Region rund um Aachen. Das Unternehmen wurde 2009 als Gemeinschaftsunternehmen von NetCologne und den Stadtwerken Aachen (STAWAG) gegründet. Am 14. Januar sandte NetAachen an die Familie einen Brief mit folgendem Inhalt:
Kündigung Ihres NetAachen-Vertrags: Sehr geehrte Familie [...], aufgrund technischer Gegebenheiten ist es uns ab 18.01.2019 nicht mehr möglich, Sie mit Festnetz und Internet zu versorgen. Wir sehen uns daher leider veranlasst, das Vertragsverhältnis vor Ablauf der regulären Laufzeit ordentlich zu kündigen. [Es folgen Name, Anschrift und Tarif des Kunden]. Der Vertrag wird zum 18.01.2019 gekündigt. Wir bedauern, dass wir Sie als Kunden leider nicht halten können und hoffen, dass Sie mit unserem Service zufrieden waren.Zum Einen enthält das Schreiben keinerlei Begründung für die offensichtlich nicht so ganz "ordentliche" Kündigung, andererseits wird der Familie kein Angebot für eine übergangsweise Weiterversorgung gemacht, wie dies beispielsweise bei einem ordentlichen Anbieterwechsel offiziell vorgeschrieben ist. Der Brief erreichte die Familie am 17. Januar - und bereits am darauffolgenden 18. Januar war der Anschluss tot.
Die Tücken bei der VDSL-Vectoring-Regulierung
Ein naher Verwandter der Familie wandte sich hilfesuchend an unsere Redaktion und schilderte den Fall. Die Breitband-Experten von teltarif.de hatten sofort eine Vermutung für die Ursache des Problems, die sich dann auch bewahrheitete.
Bewerben sich mehrere Telekommunikationsunternehmen in einer Region um den Netzausbau und wird dieser überwiegend mit VDSL Vectoring durchgeführt, kann aus technischen Gründen an einem Kvz nur ein Netzbetreiber zum Zug kommen. In diesem Fall hatte in der betreffenden Region der lokale Netzbetreiber DN-Connect die Ausschreibung gewonnen und war damit zum VDSL-Vectoring-Ausbau berechtigt. DN-Connect ist die Privatkunden-Marke des Business-Providers SOCO Network Solutions GmbH mit Sitz in Düren.
Das heißt aber nicht, dass alle anderen Netzbetreiber und Provider ihren Kunden im entsprechenden Ausbaubereich sofort den Laufpass geben mussten. Gewinnt beispielsweise die Telekom die Ausschreibung, ist sie dazu verpflichtet, allen Mitbewerbern ein reguliertes Vorleistungs-Produkt für die Anmietung des Anschlusses anzubieten. teltarif.de nahm zunächst mit einem Sprecher von NetAachen Kontakt auf.
Hätte die Abschaltung vermieden werden können?
Der Sprecher von NetAachen kümmerte sich bereitwillig um eine Aufklärung des Falls und die Lösung des Problems, und verschwieg dabei auch nicht die hauseigenen Versäumnisse von NetAachen. Er bestätigte, dass in der betreffenden Region der Konkurrent DN-Connect die Ausschreibung gewonnen habe und dass NetAachen eigentlich schon zu Jahresbeginn 2018 alle betroffenen Kunden darauf aufmerksam gemacht habe, dass darum ein Jahr später kein Anschluss mehr bereitgestellt werden könne. Durch einen bedauerlichen Fehler habe man in der Kundenkartei aber exakt sechs betroffene Kunden übersehen - und einer davon sei unsere Familie.
Zwischenzeitlich fand teltarif.de heraus, dass die Verpflichtung, den Mitbewerbern ein reguliertes Vorleistungs-Produkt anzubieten, beileibe nicht nur für die Telekom gilt, sondern für alle Netzbetreiber, die bei der Ausschreibung für einen VDSL-Vectoring-Ausbau am Kvz zum Zug kommen. In diesem seltenen Fall war die Telekom allerdings gar nicht beteiligt - es ging um die Kommunikation zweier regionaler Netzbetreiber untereinander.
NetAachen wusste offenbar nichts davon, dass DN-Connect zum Anbieten eines regulierten Vorleistungs-Produkts verpflichtet ist. Damit hätte die Abschaltung der Anschlüsse gegebenenfalls vermieden werden können. Ob DN-Connect tatsächlich ein Vermietungsangebot vorgelegt hat und wie NetAachen darauf reagiert hat, dazu konnte oder wollte uns der Sprecher nichts sagen. Klar war aber, dass eine Wiederanschaltung des Anschlusses der Familie durch NetAachen unmöglich war.
Mittlerweile Telefon und Internet von der Konkurrenz
teltarif.de regte bei NetAachen an, die Familie, die schon seit mehreren Tagen offline war, übergangsweise und ohne Zusatzkosten mit einem LTE-Zuhause-Tarif auszustatten, bis ein neuer DSL-Anschluss geschaltet werden kann. Beim Telefonat des Kundenservice von NetAachen mit der Familie muss es dann allerdings zu einem Missverständnis gekommen sein: Die Familie interpretierte das von unserer Redaktion initiierte Hilfsangebot wohl so, dass nun doch wieder ein DSL-Anschluss geschaltet werden könne - und lehnte ab. In einem Schreiben an die Familie entschuldigte sich NetAachen nochmals für die Umstände, überwies eine Gutschrift über 100 Euro und stornierte die Januar-Abschlussrechnung für den halben Monat.
Immerhin hat sich die Familie direkt am 17. Januar nach Eintreffen der Kündigung um eine neue VDSL-Versorgung bemüht und mit DN-Connect Kontakt aufgenommen. An der dortigen Hotline bestätigte man, dass dies nicht der einzige Anrufer an diesem Tag gewesen sei, der von NetAachen die plötzliche Kündigung erhalten hat. Bereits nach wenigen Tagen traf die neue Hardware von DN-Connect ein, und am 12. Februar wurde planmäßig der neue Anschluss von DN-Connect geschaltet, der seither ordnungsgemäß funktioniert.
Der Fall zeigt einerseits, dass selbst Profis wie die Betreiber regionaler Netze sich nicht immer gut im Breitband-Regulierungs-Dschungel auskennen. Andererseits dürfte die regulatorische Pflicht zum Anbieten eines Vorleistungs-Produkts nicht in allen Fällen für den privaten Verbraucher wirklich hilfreich sein. Denn wenn die regulierten Mietpreise für den unterlegenen Netzbetreiber fast genauso hoch sind wie der Endkundenpreis des am Kvz sitzenden Netzbetreibers: Warum sollte der Kunde dann zum Wettbewerber gehen, der auf die Anschlussmiete ja noch etwas draufschlagen muss, um seine Kosten zu decken und Geld zu verdienen? Dass Kunden in diesem Regulierungs-Wirrwarr aber einfach im Regen (das heißt mehrere Tage oder Wochen ohne Anschluss) dastehen, geht nicht - hier müsste der Gesetzgeber eingreifen. Und bis dahin müssten sich die betreffenden Netzbetreiber zum Wohl des Kunden deutlich besser untereinander absprechen.
Zumindest beim sinnfreien Überbau bzw. Doppelausbau von Glasfaserleitungen gibt es nun erste Reformbestrebungen.